Pressearchiv 2011

Rhein-Neckar-Zeitung, 29. Juli 2011

Die „Ausquetschung“ ist bis heute aktuell

Petra Lindenmeyer zeigt im Kunstverein „Spitze“ – Vielschichtige Kunst aus Erinnerungsstücken

 

Von Peter Lahr

Bunt, fröhlich und harmlos wirkten Petra Lindenmeyers Kunstwerke auf den ersten Blick. Doch man dürfe nicht an der fröhlichen Oberfläche verbleiben. Bereits in seiner Begrüßung am Sonntagvormittag im „Alten Schlachthaus“ lud Werner Zeh, Vorsitzender des Kunstvereins Neckar-Odenwald, die gut 50 Gäste der Vernissage dazu ein, das Vielschichtige in der Ausstellung „Spitze“ zu entdecken.

„Ich arbeite nur mit Fäden, klebe nicht, sticke lieber oder zerschneide die Spitzendeckchen“, erläuterte die Heidelberger Künstlerin. Immer wieder ergriff Petra Lindenmeyer das Wort, um auf die gesellschaftlich-historischen Hintergründe ihrer Arbeiten hinzuweisen. Stoffe, Spitzen, transparente Gewebe, Fäden, Schnüre aber auch vorgefundene Erinnerungsstücke – darunter die titelgebenden Spitzendeckchen, Spitzenhandschuhe oder Spitzenkrägen – bilden die Ausgangsmaterialien für eine Kunst, die bewusst weibliche Rollenbilder untersucht.

Anstoß gab vor gut 20 Jahren die Teilnahme an der Ausstellung XXXL. Im Vorfeld tauchte Lindenmeyer in die Kunstgeschichte ab und landete bei den Spitzenkrägen der Niederländer. Für jene strengen Protestanten eines der wenigen erlaubten Luxusgüter. Schnell kam sie auf die Lebensbedingungen der Näherinnen, die das teure Luxusgut herstellten und hierfür nur einen Hungerlohn erhielten. Sie konnten davon zwar ihren Lebensunterhalt bestreiten. Begannen aber bereits als Kinder zu nähen, arbeiteten bis tief in die Nacht und ruinierten sich so schnell  ihre Gesundheit. Zwiespältig sei jenes System der „Ausquetschung“ bis heute. War es damals Spitze. So seien es heute Turnschuhe, Jeans und Kleider, die in „Entwicklungsländern“ für billiges Geld entstünden.

Entsprechend weit gestreut wie die Ausgangsmaterialien sind auch die in der Ausstellung zu sehenden Arbeiten. Die Präsentation in ihrer überbordenden Fülle und Kleinteiligkeit kann man anregend finden - oder verwirrend. Eine Frage des Blickwinkels. Die „Kragenbilder“ beschäftigen sich mit Elisabeth II, die auch im verfremdeten Porträt erscheint. Die Hochzeitshandschuhe ihrer Schwiegermutter animierten Petra Lindenmeyer zu einer Fotoserie, die sei später mit weißem Faden bestickte. Aus weiteren Erbstücken, bestickten Kopfkissen, entstand eine raumgreifende Installation, die nun den Ausstellungsraum trennt. Rezepte, Sinnsprüche und historische Schwarzweiß-Fotos verweisen auf weibliche Rollenbilder. Beim „Tischgebet“ ist es eine reale Porzellanterrine, aus der Nudeln aus Wolle quellen. Zwischen Spitzendecken entdeckt man überwiegend gefaltete Händepaare. Der sicher nicht bei allen Teilnehmern beliebte „Kaffeebesuch bei Tante E.“ inspirierte die Künstlerin ebenfalls zu einer Kombination aus „ausgestopfter“ Stoff-Schwarzwälder und Piktogrammen, wie wir sie von Gebrauchsanweisungen kennen. „Es kann eine böse Rückblende geben“, gab Lindenmeyer im Gespräch mit einer Besucherin zu. Denn Erinnerungen an die eigene Biographie stellten sich mitunter ein. Die Serie „Spitze“ lässt aus Spitzendeckchen weibliche Figurinen erwachsen; wiedergegeben in ihren Umrisslinien. Den Kunstverein bedachte Petra Lindenmeyer mit einem dicken Lob: „Ich war überwältigt, wie professionell hier gearbeitet wird.“ Dem fügte der Landrat in seinem launigen Grußwort noch eines hinzu. Es sei das Verdienst des Kunstvereins, dass hier die moderne Kunst einen festen Platz habe. „Spitzenhäubchen waren hier noch nie zu sehen. Aber durchaus Spitzenkunst.“

 

 

 

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