Pressearchiv 2011

Rhein-Neckar-Zeitung, 20. Juni 2011

Ein Künstlerinnenleben ohne „Happy end“

Badische Landesbühne zeigte erstmals im Kunstverein „Camille Claudel“ – Szenische Lesung, die berührte

 

Von Peter Lahr

„Ich fordere laut und vernehmlich die Freiheit.“ Mit diesem doppelsinnigen Titel überschrieb Kathrin Sauerborn (künstlerische Leitung) die szenische Lesung der Badischen Landesbühne über das Leben der französischen Bildhauerin  Camille Claudel (1864-1943). Mit der Freiheit war einerseits die des Lebensentwurfs gemeint. Claudel musste sich in einer Zeit behaupten, in der Frauen Mutter, Erzieherinnen oder Nonnen zu werden hatten, aber keinesfalls Künstlerinnen. Tatsächlich endete die persönliche Freiheit für Claudel 1913. Nach dem Tod ihres Vaters wurde die einstige Schülerin, Geliebte und Mitarbeiterin des Bildhauers Auguste Rodin auf Betreiben ihrer Familie in einer „Irrenanstalt“ interniert. „Lebendig begraben“ verbrachte sie den Rest ihres Lebens hinter Mauern.

„Heute mal ein Experiment“, begrüßte Kunstvereins-Vorsitzender Werner Zeh die rund 50 Zuschauer, die am Freitagabend das Alte Schlachthaus füllten. Dass das Experiment als geglückt bezeichnet werden kann, wurde schnell klar. Der Raum mit seiner angenehm sperrigen Atmosphäre, seinem etwas rauen Charme, gab das perfekte Atelier ab – nicht zuletzt dank der Gemälde von Hans Sieverding  an den Wänden – eignete sich aber ebenso  gut für die anderen Lebensschauplätze der Bildhauerin, die unweit von Mosbachs Partnerstadt Château-Thierry aufwuchs.

Juliane Schwabe reüssierte in der Titelrolle. Mimte glaubwürdig das Feuer der Begeisterung der jungen Camille. „Der Himmel ist lila, die Stadt (Paris) hüpft auf und ab“, jubilierte die vom Vater Protegierte, die schon als Jugendliche ihren Gedanken Form zu geben vermochte. Es folgten Rodins Liebesschwüre, die kongeniale Zusammenarbeit, das Scheitern der Beziehung, das Abenteuer mit Debussy. Statt „Sakuntala“, der erwähnten Skulptur eines Liebespaares, stellte die Bildhauerin eine Porträtbüste Rodins (Skulptur: Juliane Schwabe) auf den Sockel – um diese nach der Trennung von ihm (1894) zu „zerpflücken“. Ein Vorgriff auf jenen selbstzerstörerischen Akt der Vernichtung zahlreicher eigener Werke zu Beginn ihrer geistigen Umnachtung zwölf Jahre später. Auch für den Trotz, den Stolz, die Verzweiflung, die Paranoia, den Verfolgungswahn fand die junge Schauspielerin stets den passenden Tonfall.

Hartmut Jonas wechselte ebenso stimmig die zahlreichen Sprechrollen. „Camille Claudel will Bildhauerin werden“, eröffnete er als Bruder Paul die Vorstellung. Im leicht sensationsheischenden Stil der Illustrierten verwies er auf biographische Eckdaten. Mit zerknautschtem Strohhut wurde Jonas zu Camilles Mentor, Bewunderer, Liebhaber - und Verderben. Briefe und Personalbögen, aber auch fiktive Texte wechselten einander ab.

Auch wenn einiges aus der Biographie nicht thematisiert wurde, nicht die familiären Traumata, nicht Claudels  Fehlgeburt. Auch wenn ungewiss blieb, wie weit ihre psychotischen Wahnideen gingen. Mit erstaunlich wenigen Requisiten (Detlef Stellbaum) schuf das Ensemble eindrucksvolle Bilder der zeitlosen menschlichen Tragödie. Sparsam eingesetzte Musikeinspielungen verfehlten nicht ihre Wirkung. Mal erklang ein Walzer von Claude Debussy, mal David Gorretts „Claire du lune“. Charles Baudelaires Gedicht „Le Chat“ oder ein Stimmenteppich (Meike Hedderich) akzentuierten die Dramatik. Das Spiel der beiden Schauspieler berührte derart, dass nach dem letzten Satz einige Zeit lang Schweigen den Saal erfüllte, bevor befreiender Applaus aufbrandete.

 

 

 

Mit 18 Jahren begegnete die Bildhauerin Camille Claudel dem 42-jährigen Auguste Rodin (oben). Nicht nur die Zeit der großen Leidenschaft und engen Zusammenarbeit war Thema der szenischen Lesung der Badischen Landesbühne, auch das Davor und Danach wurde eindrucksvoll beleuchtet. Fotos: Peter Lahr

 

 

 

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