Burghard Müller-Dannhausen, 6-8-3, 2006

 

 

16. März - 20. April 2014, Ausstellung im Kulturforum Vis-à-Vis der Stadt Buchen

Burghard Müller-Dannhausen – Bildraum

Groß- und kleinformatige Malerei im Kontrast

 

 

Eine Einführung in die Ausstellung von Birgit Sommer

 

Liebe Kunstfreunde, sehr geehrte Damen und Herren,

 

wenn ich Ihnen sage, dass die künstlerische Position von Burghard Müller-Dannhausen in einem einzigen Wort konzentriert werden kann – in dem Begriff „Bildraum“ –, dann heißt das nicht, dass auch der Umkehrschluss, funktioniert. Es heißt nicht, dass Sie diese Position direkt und ohne Mühe aus dem Wort herauslesen können. Dazu bedarf es einiger Erläuterungen. Und mir war klar, als wir den Ausstellungstitel „Bildraum“ gewählt haben, dass ich diese Erläuterungen liefern sollte. Entsprechend den Erkenntnissen, die ich in der Zusammenarbeit mit dem Künstler – seit Januar dieses Jahres – gewonnen habe. Als Ergebnis vieler Gespräche und mancher Café-Besuche.

Am Anfang war ich so unvoreingenommen, um nicht zu sagen unvorbereitet, wie Sie es vielleicht heute beim Betreten dieser Ausstellung sind. Als ich dem Künstler sagte, ich fände es spannend, mal eine Ausstellung geometrischer, konkreter Kunst zu kuratieren, das sei für mich ein Novum, hat er gelacht. Ich wusste damals noch nicht, dass es ihm auf die Geometrie gar nicht ankommt, ja, dass es generell bei dieser Malerei nicht um Geometrie geht. Beim Thema Bildraum war ich damals noch lange nicht angekommen.

Die Bedeutung von Bildraum ist in Verbindung mit unserer Ausstellung vielschichtig. Ein Bildraum ist zunächst ein Raum mit Bildern, genau das, was Sie hier vorfinden.

Damit könnte man sich schon zufrieden geben. Es ist die Absicht von Burghard Müller-Dannhausen, mehrere Bedeutungsschichten zu liefern, die immer auch einzeln genügen können.

Das gilt gerade für seine Kunst-am-Bau-Projekte. Denn Kunst-am-Bau oder Kunst in der Öffentlichkeit ist immer für die Menschen gemacht, die an einem Ort verkehren, ob sie kunstinteressiert sind oder nicht. Alle diese Menschen sollen einen Gewinn aus dem Kunstwerk ziehen. Wer tiefer eindringen möchte, kann das tun. Man entdeckt dann tiefere Schichten.

Hier nun handelt es sich nicht um Kunst am Bau, sondern um klassische Tafelmalerei. Doch die erwähnte Vielschichtigkeit gilt auch hier. Sie liegt schon in unserem Titel. So nehmen Sie eine zweite Schicht wahr, wenn Sie eine bestimmte Art von Räumlichkeit in den Bildern entdecken, nicht die traditionelle Tiefenräumlichkeit, sondern einen imaginären, farbengestützten Raum. Doch davon später mehr.

Bildraum ist für Müller-Dannhausen und für die, die sich intensiv mit seiner Malerei beschäftigen, zugleich epischer Raum. Episch ... Ich bin sicher, dass Sie überrascht sind. Man hat schon Vieles von lyrischer Malerei gehört. Episch dagegen ist ein literarischer Begriff, der nicht allzu oft auf Malerei angewandt wird.

Müller-Dannhausen wendet diesen Begriff an, auf sein eigenes malerisches Anliegen ebenso wie auf andere Maler, denn er versteht sich nicht nur als Kunstschaffender, sondern auch als Betrachter. Und für ihn reicht die Reihe explizit epischer Maler von Giovanni Bellini über Poussin und Matisse bis zu Willem de Kooning.

Ein episches Bild ist für ihn ein Bild, das einen reichen Kosmos öffnet, nicht einen gegenständlichen Kosmos auf der Bildfläche wie etwa bei Bosch oder Brueghel, sondern einen imaginären in der Phantasie des Betrachters. So wie das zum Beispiel für Mondrian gilt.

Hier sind wir wieder bei der Geometrie, die bei Mondrian nur vordergründig ist. So sagt Burghard Müller-Dannhausen: „Das eigentliche Bilderlebnis „Das Epische“ beginnt erst jenseits der Geometrie“. Das, worin wir Eigenes wiederfinden: Erinnerungen, Vorstellungen, Sehnsüchte. Unsere eigene Tiefe. Damit sind wir dem Anliegen des Malers schon sehr nah. Er möchte durch ein Bild den Betrachter zu sich selbst führen.

Dabei unterscheidet er strikt zwischen dem Meditativen und dem Kontemplativen. Mit dem Meditativen, dem Versenken und dem Vergessen in der Versenkung kann er nichts anfangen. Er sucht das Kontemplative, das Staunen über den Reichtum einer imaginären Welt, die nicht in eine dunkle Tiefe des Vergessens, sondern in eine andere Art von Tiefe führt, in die helle Weite ferner Horizonte.

Von den übrigen epischen Malern unterscheidet sich Müller-Dannhausen durch die Instrumentalisierung der Farbe. Er hat sich schon immer als Farb-Maler, als Kolorist verstanden. So konnte er das Diktum von Raimer Jochims, eines seiner Lehrer, direkt übernehmen: Die primären Mittel der Malerei seien Farbe und Fläche, nicht die Form, die nur ein sekundäres Mittel sei. Später hat er sich von dieser Sichtweise emanzipiert. Er erkannte, dass das Imaginäre für seine Malerei das Wichtigste ist, Farbe dagegen nur ein sekundäres Mittel, das Imaginäre zu schaffen. Imaginäres Licht. Und imaginären Raum. Sie sehen, wir sind hier beim Bildraum angekommen. Müller-Dannhausen strebt imaginäres Licht und imaginären Raum an, indem er Farbe auf der Fläche organisiert.

Die Form kommt in seiner Hierarchie der Mittel überhaupt nicht vor. Er hält es zwar für legitim, dass Betrachter in seinen Bildern Formen sehen. Es ist das Privileg des Betrachters, ein Bild der jeweils persönlichen Sichtweise zu unterwerfen. Für ihn selbst gibt es jedoch keine Form. Was andere – und auch ich – in diesen Bildern als Form erkennen, ist für ihn immer nur ein Parameter der Farbe, neben den klassischen Parametern wie Farbwert, Farbintensität, Helligkeit, sind für ihn Quantität, Ort, Frequenz, Ausdehnung und Rhythmus ebenso Eigenschaften und Merkmale der Farbe.

In diesem Sinn setzt er die Geometrie ein. Als ein bewährtes Mittel, Farbe zu platzieren und zu ordnen. Bewährt deshalb, weil die Geometrie in der Malerei ein Erbe früherer Maler-Generationen ist.

So benutzt Müller-Dannhausen die Geometrie als selbstverständliches, traditionelles Erbe, das ihm sehr gelegen kommt. Denn durch die Geometrie kann er seinen Bildern die Anonymität geben, die er wünscht, den unpersönlichen, neutralen Farbauftrag. Für ihn ist das Bild kein Objekt, das an Material und Bearbeitungsspuren erkennbar ist, kurz: an einer Handschrift. Für ihn ist das Bild vielmehr eine Erscheinung, die sich ausschließlich durch ihre optischen Eigenschaften definiert. Objekthaft ist für ihn nur der Bildträger. Nicht einmal das. Denn was wir herkömmlich unter Bildträger verstehen, ist für ihn nur ein Transportmittel. Für ihn ist der Träger des Bildes die Netzhaut des Betrachters.

Was er dem Betrachter geben möchte, ist ein Impuls. Ich sagte schon, dass er den Betrachter durch das Bild zu sich selbst führen möchte. Streng genommen sind diese Bilder keine Mitteilungen. Der Maler geht zwar von Eindrücken in der Wirklichkeit aus, gibt sie aber nicht weiter. Er braucht sie als Auslöser, um immer wieder ein individuell neues Bild zu schaffen. Diese Auslöser sind Erlebnismomente, Lichtmomente, wenn Sie wollen, poetische Momente.

So gesehen ist das Gesamtwerk ein einziges großes Tagebuch, wenn auch kein Tagebuch, in dem Sie, als Betrachter, lesen können. Denn Müller-Dannhausen setzt seine Wirklichkeits- Eindrücke nicht um. Er macht sie nicht mitteilbar. Sie sind für ihn nur Auslöser, um daraus etwas Neues zu schaffen: nämlich einen Impuls – ich sagte es schon – für den Betrachter. Er möchte den Betrachter in ein imaginäres Licht – auch hier wiederhole ich mich – in einen imaginären Raum (in unseren Bildraum) führen, um darin etwas von sich selbst zu entdecken.

Was Müller-Dannhausen vorschwebt, ist ein assoziatives Bilderlebnis. Der Betrachter soll etwas assoziieren, was aus seiner eigenen Empfindungstiefe kommt: kostbare Erinnerungen, Sehnsüchte, etwas, das ihm auf intime Weise vertraut ist, das er aber nun neu erlebt, indem es eine überraschende poetische Dimension bekommt.

Um die Position von Burghard Müller-Dannhausen zusammenzufassen: Er ist ein epischer Maler der Farbe. Er erzählt mittels der Farbe. Oder genauer: Er lässt die Farbe selbst sprechen. Ich sage bewusst Farbe und nicht Farben. Denn ihm geht es nicht um eine beliebige Menge an Farben, sondern um Farbe an sich – Farbe als Phänomen und als Potential.

Dazu gehört, dass er versucht, die reichen Möglichkeiten der Farbe auszuschöpfen. Er konzentriert sich nicht auf die einzelne Farbe, sondern auf die Farbbeziehungen, so wie es einem Musiker nicht um einzelne Töne geht, sondern um deren Zusammenklang oder wie ein Schriftsteller keine bevorzugten Buchstaben hat, sondern mit deren Kombination in Wörtern und Sätzen arbeitet. So gibt es für Müller-Dannhausen auch keine Bevorzugung von Farben. Er greift auf alle Farben zurück, die ihm zur Verfügung stehen.

Konkret heißt das, dass in seinen Bildern alle Farben vorkommen können, alle denkbaren Farbwerte, intensive ebenso wie „gedeckte“ Farben. Dass beispielsweise in dieser Ausstellung die Farbe Gelb nicht vorkommt, heißt nicht, dass es für ihn kein Gelb gibt. Das Fehlen von Gelb ist der Kuratierung dieser Ausstellung geschuldet, denn Aufgabe des Kuratierens ist, aus farbiger Vielfalt eine harmonische Einheit zu bilden, die das Betrachten des einzelnen Werkes fördert und nicht erschwert. Ich hätte auch eine Ausstellung, die ganz auf Gelb gestimmt ist, konzipieren können. Dann hätten mit Sicherheit andere Farben gefehlt.

Sprechen wir aber nicht über eine Ausstellung, die hätte sein können, sondern nehmen wir die Ausstellung so wie sie ist, und die auch der Maler entschieden vertritt. Dazu wünsche ich Ihnen viel Freude beim Betrachten.

Ich danke Ihnen.

 

Birgit Sommer, Kuratorin, 2. Vorsitzende des Kunstverein Neckar Odenwald

16. März 2014

 

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