Warten

Mitglieder-Ausstellung des Kunstverein Neckar-Odenwald,

23. 10. 2005 – 8. 1. 2006, täglich

Kreiskrankenhaus Buchen

 

Einführung von Prof. Dr. Volkhard Wolf

2. Vorsitzender des Kunstvereins und Ausstellungs-Kurator

Eröffnungsrede als PDF-Datei zum Ausdruck

 

Liebe Mitglieder des Kunstvereins, liebe Kunstfreunde, warum haben wir uns das Warten zum Thema für diese Ausstellung genommen?

Aus zwei Gründen: Erst einmal ein zugegebenermaßen etwas banaler Grund – Warten gehört einfach zum Krankenhaus. Und wenn wir als  Kunstverein hier schon diese Fläche zum Hängen von Kunst verwenden dürfen, so liegt eigentlich nichts näher, als einmal die Künstlerinnen und Künstler sozusagen auf das Thema loszulassen. Patienten kann man im Krankenhaus nicht auf das Thema Warten loslassen – da ist es, im Sinne eines geregelten Ablaufs – schon wesentlich besser, wenn man die Thematik nicht berührt. Wir als Kunstverein erlauben uns einfach mal die Freiheit und stellen nicht die Heilung, sondern das Warten darauf in den Mittelpunkt. Und so hängen stimmiger Weise die Bilder auch nicht in den Behandlungsräumen, sondern auf den Fluren des Krankenhauses, wo das Warten ja bekanntlich zu Hause ist.

Der zweite Grund für diese Ausstellung geht schon etwas tiefer. Alle Menschen warten, aber nur wir Menschen warten. Während Tiere in einem profanen Sinne in der Zeit leben, ist Menschen ihre Zeit als begrenzte Ressource und gestaltbarer Raum des Lebens elementar bewusst.

Eine Erfahrung, die jeder von uns kennt, ist dieses Warten auf einem Flur. Sei es hier im Krankenhaus oder auch in einer Behörde – und, sind wir einmal ehrlich – so sehr wir die Notwendigkeit des Wartens auch in vielen Fällen einsehen, wir warten doch meist mit einer ausgeprägten Unlust.

Novalis hat einmal gesagt, Zeit entsteht erst mit dieser Unlust. Tatsächlich spielt die Zeit für uns immer dann überhaupt keine Rolle, wenn wir etwas mit Spaß und Leidenschaft tun. Die Zeit vergeht dann, wie im Fluge. Wenn wir warten müssen, wird uns die Zeit schmerzlich bewusst. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich als Kind auf den Bahnbus ungeduldig gewartet habe. Dabei habe ich oft die große Bahnhofsuhr angeschaut, insbesondere den immer so etwas ruckhaften, zittrigen Verlauf des Sekundenzeigers. Sie kennen vielleicht auch den Moment auf der Bahnhofsuhr, wenn der Sekundenzeiger ganz oben angekommen, die neue Minute anstößt und dort noch einen winzigen Moment länger stehen bleibt als sonst. Ich meinte dann einen schrecklichen Augenblick lang, dass die Zeit jetzt endgültig stehen geblieben wäre und war dann jedes Mal ganz erlöst, wenn sich Sekunden- und Minutenzeiger schließlich doch mit einem schweren Ruck zusammen in die neue Position schoben. Wir sind damit schon beim ersten und wichtigsten Charakteristikum des Wartens, dem scharfen Bewusstheit von Zeitfluss und Dauer. Wartende achten auf die verrinnende Zeit und registrieren penibel, wie lange sie schon gewartet haben. Mechanische Zeit verwandelt sich in Erlebniszeit. Wir erleben die Zeit in dem wir dem stupiden Vorrücken des Sekundenzeigers zuschauen. Das ist nichts anderes als eine Technik des  Zeitmanagements, denn auch wenn die Zeit quälend langsam vergeht, ist man so immerhin sicher, dass sie irgendwie vergeht.

Zu diesen Zeitmanagementtechniken beim Warten gehört auch die formale Ordnung. Wir stellen uns in Warteschlangen auf und registrieren nicht nur, dass sich keiner vordrängelt, sondern auch die abnehmende Zahl der vor uns Wartenden. Solches in Struktur gebrachtes Warten gibt uns wenigstens ein bisschen Trost. Für Ingrid Jännsch ist das Warten selbst eine solche Struktur. Denkt sie an Warten fällt ihr eine bestimmte Form ein. Das ist eine schöne, verlässliche Form. Denn Ingrid Jännsch sagt von sich selber, „ich warte gerne“.

Wer schon einmal auf einem britischen Flughafen gewartet hat, weiß wie fantasievoll auch unsere englischen Nachbarn mit diesen Strukturen umgehen. In einem raffiniert angeordneten System aus Schranken und Absperrungen wird der Strom der Fluggäste in einer mäanderförmigen Reihe durch das Gebäude kanalisiert. Ursula Drenker greift unter anderem diese geometrische Struktur des Wartens mit ihrem Werk auf, dass wir gleich zu Beginn der Ausstellung vorne im Eingangsbereich gehängt haben. Sie unterteilt ihre 32 Wartenden sauber in 2 x 16 Wartende. Und die 16-ner Gruppe wird in vier mal vier Personen, sozusagen mit der höchstmöglichen Symmetrie unterteilt, noch dazu entlehnt von den digitalen Strukturen, mit denen unsere Computer arbeiten, die ja auch in Potenzen zur Basis 2 rechnen.

In den Computer gibt man ein Programm, eine Software ein, und wartet auf ein Ergebnis. Früher waren die Computer langsam und man musste lange warten. Ursula Drenker spricht in ihrem Text zur Ausstellung die Sanduhr an, die auf dem Bildschirm das Warten anzeigt. Dieses Warten auf ein Ergebnis und damit auf Veränderung hat auch ein großes literarisches Vorbild. Samuel Beckett lässt seine Landstreicher auf einen gewissen Godot warten, der aber nicht kommen will. Das jedoch können die "handelnden" Personen nicht ertragen und tun etwas, damit die Zeit vergeht. Beckett wollte mit seinem Stück wohl zeigen, dass das Warten auf etwas, dass das Leben verbessert, eine grundlegende menschliche Haltung ist.

 

Rolf Fahrbach, Wandlung

 

Auch Rolf Fahrbach beleuchtet diesen Aspekt des Wartens in seinen Arbeiten. Weil das Warten keine Handlung, sondern eher eine Geisteshaltung ist, passiert so gut wie nichts. Fahrbach bringt dies zum Ausdruck, in dem er nach außen nichts darstellt. Irgendwo drinnen, bei ihm durch die Symbolik des Verschnürens ausgedrückt, finden in uns ständig Veränderungen und Wandlungen statt. Man muss sie nur erwarten können.

 

Ingolf Jännsch, Ich warte - nicht warten

 

Auch Ingolf Jännsch nimmt den Strukturcharakter des Wartens auf und legt digitale Fotografien vor, die für das Warten aufgereihte Stuhlreihen zeigen. Auch im Wartezimmer des Arztes hilft uns allein schon die Ordnung der Stühle und das damit verbundene „der Nächste bitte“ die Wartezeit in eine gewisse Struktur zu bringen, also überschaubar zu machen. Das gibt uns ein wenig Sicherheit. Was aber, wenn mal einer nicht wartet? Unser schöner kleiner Rahmen ist gesprengt und die Ordnung beim Teufel. Ingolf Jännsch symbolisiert das Nicht-Warten, dass unsere so sorgsam gehütete Ordnung sprengt, mit einem Malvorgang. Er legt zwei Bildpaare vor. In einem Bild wurde jeweils gewartet bis die Farbe trocken war und im zweiten wurde nicht gewartet. Die noch feuchte Farbe verläuft und tropft über das Bild. Auf den ersten Blick entsteht ein hässlicher Eindruck. Es ist eine Zumutung für uns alle, wenn Ordnung und Strukturen in Mitleidenschaft gezogen werden. Ingolf Jännsch formuliert es so: „Die eine Malstruktur konfrontiert uns mit der Anspannung des Wartens, die andere mit der ausbrechenden Ungeduld.“ So hässlich die Spuren dieser Ungeduld sich auf dem Bild zeigen, so wichtig ist es doch in der ein oder anderen Situation, dass mal jemand nicht wartet, sich nicht abfindet, aus der Reihe der brav und geduldig Wartenden ausbricht. Die innovativen Momente in unserer Gesellschaft sind ja meist ein Ausdruck dieses „Sich-nicht-abfinden-Könnens“.

 

Ulrike Thiele, Warteschleifen

 

Auch Ulrike Thiele bezieht sich auf den Strukturcharakter des Wartens mit ihren drei „Warteschleifen“. Sie legt ineinander verschlungene Bänder vor. Durch den starren Verbund ergibt sich schließlich ein kompaktes 3-dimensionales Ding, das paradoxer Weise doch ursprünglich aus feinen Papierstreifen zusammengesetzt ist. Sie macht damit auf den paradoxen Charakter des Wartens aufmerksam. Das in der Warteschleife kreisende Flugzeug ist ja, obwohl es fliegen kann, nicht frei, sondern auf einen engen Raum begrenzt. Warten bedeutet die Einschränkung der räumlichen Mobilität. Das Warten „nagelt uns fest“,ganz wie die Papierbahnen von Ulrike Thiele quasi miteinander vernagelt scheinen. Das Warten verlangt körperliche Präsenz und verbietet gleichzeitig jeden motorischen Ausgleich. Man darf den Warteraum oder die Schlange nicht auf Dauer verlassen, wenn man sich nicht wieder hinten anstellen will. Zur Ablenkung kommen daher nur solche Aktivitäten für uns in Betracht, die mit dem stationären Charakter des Wartens vereinbar sind: Zeitunglesen, Kreuzworträtsel, Vor-sich-hin-Dämmern. Es sind vor allem diese Ausflüge ins Reich der Phantasie, denen jedoch zugleich enge Grenzen gesetzt sind: Bei aller Abschweifung der Gedanken darf man seinen Aufruf nicht verpassen. Es ist im Grunde eine weitere pragmatische Paradoxie: Ablenkung kann nicht erzwungen werden, auch nicht von uns selber. Wo wir uns ablenken wollen, lenken wir uns von der Ablenkung ab.

Sie merken schon, es würde zu lange dauern, wenn wir auf alle Arbeiten der hier ausstellenden 15 Künstler eingehen würden. Das soll und kann diese Einführung auch nicht leisten. Ich möchte sie lediglich ein bisschen neugierig auf die Ausstellung machen. Denn es werden noch so viele Aspekte des Wartens beleuchtet. Warten hat beispielsweise einentrennenden und einen verbindenden Charakter. In den Arbeiten von Ursula Drenker und Birgit Sommer wartet jeder für sich. Wer spricht schließlich schon die an der Bushaltestelle mit ihm Wartenden an. Meist starrt man in die Luft bis der Bus kommt.

 

Gerta Schaller, Erwartung, Warten

 

Warten kann aber auch verbinden. Gerda Schaller zeigt mir ihren beiden wunderbaren Arbeiten wir sehr eine Verbindung zwischen Menschen hergestellt wird, wenn der eine auf den anderen wartet. Sie nimmt das alte Symbol des ins Fenster gestellten Lichts für das Warten auf. So wie das Licht ein Zeichen ist und zum Warten dazu gehört, gehört auch in jeder Paarbeziehung das Warten dazu.

Warten als soziologisches Phänomen wird in den Arbeiten von Sylvia Poss und Roswitha Scheithauer thematisiert. Warten wird hier von politischen Randbedingungen erzwungen und als Zeichen der Macht, die über uns ausgeübt wird, interpretiert. Jemanden warten lassen, kann nur der Mächtige. Der Schwache muss warten, bis er drankommt. So ist das Warten häufig zugleich ein Hoffen oder Befürchten, legiert mit dem scharfen Bewusstsein eigener Machtlosigkeit.

„Es ist gut zu hoffen, nur das Warten verdirbt es“, lautet ein altes jüdisches Sprichwort. War das Warten zu lang und zermürbend, können wir uns auch bei gutem Ausgang einer Sache nicht so recht freuen.

Grund genug für mich spätestens an dieser Stelle aufzuhören und mich abschließend ganz herzlich bei den Künstelrinnen und Künstlern für ihren Beitrag zum Thema zu bedanken und Ihnen liebe Kunstfreude viel Spaß mit unserer Ausstellung zu wünschen.

 

Warten Sie noch einen Augenblick bitte! klicken Sie hier

 

Eröffnungsrede als PDF-Datei zum Ausdruck

 

[Home] [Der Verein] [Ausstellungen] [Ausstellungsorte] [Galerie] [Szene] [Pressearchiv] [Kultur - Café] [Gästebuch] [Kontakt] [Sitemap] [Anfahrt] [Impressum]