Pressearchiv 2005

Wie kam das Ross ins Schlachthaus?

Peter Riek zeigt „Körper/Erinnerungen“ im Kunstverein – Raumbezüge und ästhetische Rätselhaftigkeit – 50 Vernissagengäste

Von Peter Lahr

Mosbach. Unter den Titel „Körper/Erinnerungen/Zeichnung“ stellte der Heilbronner Künstler Peter Riek seine Ausstellung beim Kunstverein Neckar-Odenwald. Im „Alten Schlachthaus“ in Mosbach konnten Kunstvereins-Vorsitzender Werner Zeh und Bürgermeister Michael Jann am Sonntagvormittag 50 Vernissagengäste begrüßen. Eine ebenso fundierte wie verständliche Einführung in das Werk des Künstlers gab Bernd Künzig aus Baden-Baden.

Nicht nur ästhetisch sondern auch thematisch geht Peter Riek in seiner Ausstellung auf den Raum ein: Vielfältige Bezüge zum „Alten Schlachthaus“ und seiner einstigen realen Funktion öffnen sich dem unvoreingenommenen Betrachter bereits beim Betrachten des zentralen Werkes, der Installation „Pale rider“, die in einer schreinartigen Transportkiste Zeichnungen mit einem Pferdeskelett kombiniert.

Diesen „absichtsvollen Raumbezug“ betonte auch Werner Zeh in seiner Begrüßung und konnte sogar mit einem Martin-Walser Zitat über die rätselhaft-verwirrende Wirkung von Peter Rieks Werken aufwarten.

Mit dem Titel assoziierte Bürgermeister Michael Jann spontan die Nahrungsaufnahme. Zu „Körpererinnerungen“ am nächsten Morgen führten das Gläschen zu viel, das man sich am Abend zuvor genehmigte,  oder die zu vielen gerauchten Zigaretten. Auch wenn sich dem Betrachter die Bilder der Ausstellung nicht sofort erschlössen, so zeigte sich Jann erfreut darüber, dass mit Peter Riek ein hochkarätiger Künstler in Mosbach ausstelle.

Zwar nicht mit Martin Walser konkurrieren, wollte Bernd Künzig, der in Baden-Baden seine „Agentur für kulturelles Wissen“ als Ein-Mann-Betrieb betreibt; gleichwohl bestach er mit einer vortrefflichen Laudatio, die von den 50 versammelten Kunstfreunden zu Recht mit einem außergewöhnlich langen Beifall bedacht wurde.

Zunächst entlarvte Künzig die Idee der künstlerischen Autonomie als utopischen Mythos, der einer genaueren Nachprüfung nicht stand halte: Schon immer seien Künstler eingebunden gewesen in Kontexte gesellschaftlicher, sozialer, politischer oder ästhetischer Art.

Peter Riek greife in seinem vor allem zeichnerisch geprägten Werk auf Bildvorlagen wissenschaftlicher Illustrationen zurück, wie sie in Anatomiebüchern, medizinischen Fachwerken oder Biologie-Schulbüchern zu finden seien.

Als „Spurensucher, Forscher und Sammler“ trete der Künstler bei seinen „Straßenzeichnungen“ auf, die in Mosbach unter dem Titel „Organzeichen“ präsentiert werden: Mit vergänglicher Kreide fertigte Riek Zeichnungen im Freien an, die er mit der Kamera festhielt, bevor sie mit dem nächsten Regen wieder weggespült wurden.  Für den Laudator eine „anarchistische Zeichentätigkeit.“

Mit der Installation „Pale rider“ habe sich Riek eine „neomoderne Wunderkammer“ geschaffen, die direkte konzeptuelle Bezüge zum Ausstellungsort, dem ehemaligen Schlachthaus, aufweise. Die Zeichnungen von Knochen und organischen Bildentwürfen gingen „buchstäblich unter die Haut“, befand Künzig: „Im Mittelpunkt steht, was im Schlachthaus als Abfallprodukt übrig bleibt: die Knochen.“ Dass es sich dabei um eine Todesgeschichte handelt, belege das zentral positionierte Pferdeskelett, das Riek wie in einem Altarschrein präsentiere.

Den Titel „Pale rider“, der an einen Clint- Eastwood-Western gemahne, nahm Bernd Künzig zum Ausgangspunkt für eine Reihe kulturhistorischer Assoziationen rund um das Thema Pferd – vom trojanischen Pferd über den Untergang der letzten Reiterarmee im 2. Weltkrieg bis hin zum mächtigsten Mann der Welt, der heute nur noch in seiner Freizeit auf dem Pferd sitze. Doch wenn der amerikanische Präsident sich mit dem Düsenjet zum Kampfeinsatz fliegen lasse, dann sah Künzig hierin den Mythos des apokalyptischen bleichen Reiters, der im jüngsten Gericht Rache nehme, fortgeführt.

Seltsamerweise übereinstimmt sogar das Alter des Pferdeskeletts in etwa mit der einstigen Betrieb des Schlachthauses: Peter Riek fand das hundertjährige Skelett, dessen sämtliche Gelenke beweglich sind, in den Räumlichkeiten der Heilbronner Berufsschule. Ob es dort einst Fleischerlehrlingen zu Anatomiestudien gedient hat, gehöre jedoch in den Bereich des Spekulativen.

Direkte Bezüge zum „Schlachthaus“ bzw. zu der heutigen Supermarktästhetik der Fleischereiabteilungen, besitzt auch die Arbeit „Fleisch“. 18 sauber gerahmte Zeichnungen versammelte Riek hier auf einer großen, rot leuchtenden „Fleisch-Tapete“. Auf unterschiedlichen Malgründen – bis hin zum Packpapier -finden sich kraftvoll-expressiv gemalte Steaks, Keulen, Bratenstücke und Innereien die mit den Kohlezeichnungen von Netzen, organischen Formen, Pilzen und Knochen kombiniert wurden. Gleichwohl bekennt Riek: „Ich bin ein großer Freund des Fleisches“ und fügt ironisch hinzu, dass man dies wohl an seinem Körpervolumen nachvollziehen könne. Gleichwohl möchte er an die reale Herkunft des Fleisches erinnern, die manch ein Konsument gerne aus seinem Bewusstsein ausblende.

INFO: Peter Rieks Ausstellung „Körper/Erinnerungen/Zeichnung“ ist bis zum 29. Mai im „Alten Schlachthaus“ in Mosbach zu sehen. Geöffnet ist donnerstags, samstags, sonntags von 14 bis 18 Uhr.

Rhein-Neckar-Zeitung, 26. 4. 2005

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