Prägungen

Vernissage Roswitha Scheithauer und Rainer Scheithauer „Prägungen“

Kunstverein Neckar-Odenwald, Mosbach, 23. Juli 2006

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Maria Lucia Weigel, M.A.

Laudatio zur Ausstellungseröffnung

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

der Kunstverein Neckar-Odenwald präsentiert in den kommenden Wochen in seinen Ausstellungsräumen im Schlachthaus Mosbach zwei ausgeprägte Künstlerpersönlichkeiten im Dialog. Die jeweils eigene, im Werk konsequent verfolgte Entwicklungslinie steht  in dieser Gegenüberstellung im Vordergrund.

Die familiäre Konstellation, in der beide als Geschwister zueinander stehen, läßt allerdings Verwandtschaften besonderer Art erwarten. Eine ähnliche künstlerische Prägung hat Spuren in beider Werk hinterlassen. Das Schlüsselwort der Prägung deutet Bezugnahmen auf einen miteinander geteilten schöpferischen Fundus an, aber auch persönlichen Einfluß, der sich jedoch keineswegs in der Ähnlichkeit der künstlerischen Gestaltung äußern muß.

Roswitha Scheithauer war schon früh mit dem künstlerischen Werk des älteren Bruders konfrontiert und sogar involviert. So zeigt eine Reihe von tonigen Öltempera-Gemälden von Rainer Scheithauer aus den fünfziger Jahren das Porträt der jüngeren Schwester. Deren eigenes künstlerisches Schaffen trat nach erst nach dem Tod des Bruders aus dessen Schatten heraus.

 

Über den Aspekt des Landschaftlichen hinaus, den das Werk Rainer Scheithauers in dieser Ausstellung einnimmt und das aus einer Prägung durch die Landschaft der Wahlheimat heraus entstanden ist, existiert ein reiches Oeuvre an Aktzeichnungen sowie literarisch und mythologisch inspirierten Gemäldezyklen von seiner Hand. Dieser Teil des Werkes bleibt in der Ausstellung ausgespart, es räumt seinen Platz für die figurativen Arbeiten von Roswitha Scheithauer. Das zeitliche Nacheinander der präsentierten Werke erweist sich für den Betrachter als fruchtbares Miteinander. Es öffnet die Augen für Verwandtschaften und Verschiedenheiten der bildnerischen Strategien beider Künstler.

 

In besonderer Weise bleibt Rainer Scheithauer, der 1992 verstorben ist, Mosbach und dem hiesigen Kunstverein verbunden. Seit 1957 lebte der Künstler in der Nähe von Mosbach; Mitte der achtziger Jahre wurden unter seiner Ägide die Hallen der Fabrik aus dem ehemaligen Familienbesitz zu großen Ateliers unterschiedlicher Bestimmungen umfunktioniert.

Künstlerische Stationen in Jena und Essen hatten Rainer Scheithauer malerische und bildhauerische Ausbildung zuteil werden lassen. Der skulpturale Aspekt trat in seinem Schaffen über lange Phasen hinweg in den Vordergrund und ließ die Malerei zurücktreten. Mit monumentalen Brunnengestaltungen erlangte Rainer Scheithauer überregionale Bekanntheit.

 

Der Mosbacher Kunstverein präsentiert nun einen kleinen, aber um so bedeutenderen Ausschnitt aus dem Schaffen des Malers Rainer Scheithauer. In dessen letzten Lebensjahren entfaltete sich die Malerei erneut mit einer großen gestalterischen Vehemenz. Die in dieser Zeit entstandenen Gemälde bewahren bis heute eine ungeheure Gegenwärtigkeit.

Das späte Werk zeigt eine tonige Farbigkeit, deren Palette von warmen Erdtönen über Weiß und sparsam verwendetem Schwarz bis hin zu kräftigen Blautönen reicht. Charakteristisch für diese Arbeiten ist die Heftigkeit des Pinselstrichs, mit der die selbstgemischte Öltemperafarbe auf den zumeist hölzernen Bildträger aufgebracht wurde.

Kompositionelle Anlage und formale Gestaltung sind aus der Pinselführung heraus entwickelt; das Über- und Untereinander der Strichlagen erschließt Tiefenräumlichkeit wie Gegenständliches. Mit gesättigtem Pinsel wir die Farbe auf dem Malgrund verteilt. Unmittelbar benachbart bleibt die Malmaterie unvertrieben auf dem Untergrund stehen. Grattagen, die der Malschicht mit dem stumpfen Ende des Pinsels beigebracht werden, loten das gestalterische Spiel mit den Möglichkeiten einer auch materiell ausgedeuteten Farbe aus. Dabei verschmelzen gewähltes Motiv und Art der künstlerischen Umsetzung zu einer Einheit. Die Expressivität des Gesehenen wird bildlich in freie malerische Gestaltung überführt und mit Hilfe eines reichen Repertoires an Ausdrucksmitteln formuliert.

 

Die Landschaften des Odenwalds und des Neckartales prägen das späte Werk von Rainer Scheithauer. Üppige Vegetation bildet den Ausgangspunkt für die Bildkompositionen. In ihr werden tektonische Prinzipien aufgedeckt. Sorgfältig komponierte Vorder-, Mittel- und Hintergründe verbinden ausgewogene Schichtungen landschaftlicher Horizonte und querstrebendes Geäst mit aufstrebenden Elementen in Form von Baumwuchs und Unterholz. Harmonische Bildgefüge erwachsen aus dieser Art der bildlichen Gestaltung, die der Vehemenz des Malaktes eine Balance formaler Konzeption entgegensetzen.

Baumbewuchs in Wassernähe findet sich stets im Bildvordergrund plaziert. Von den Begrenzungen der Bildfläche angeschnitten, erheben sich etwa schlanke Pappeln in eigenem kompositorischem Rhythmus über dem Wurzelwerk. Horizontale Schichtungen füllen die Bildfläche und wecken Assoziationen landschaftlicher Gestaltungen, auch wenn sie vom Formalen her auch rein flächig interpretiert werden könnten. Die Perspektivhaltigkeit der Landschaftsansicht entsteht erst im wissenden Blick des Betrachters, nicht auf dem Bildträger selbst. Auch das Motiv der Neckarschleife, als Überschaulandschaft von einem erhöhten Standpunkt aus erfaßt, entfaltet seine räumlichen Qualitäten erst in dem vom Betrachter konnotierten Wissen über die spezifische Art der Präsentation des gewählten Bildmotivs. Formal betrachtet ereignet sich im Bild ein fein austariertes, schwebendes Miteinander farbiger Strukturen, die erst im Inhaltlichen eine schlüssige Deutung erfahren.

 

Der Wiedererkennungswert spezifischer Landstriche im Gemälde stellt offensichtlich nicht das vornehmliche Anliegen des Künstlers dar. Sein Interesse liegt vielmehr im Erfassen und formalen Ausdeuten des landschaftlich Typischen, das wesentlich durch die Gestimmtheit, das Atmosphärische des Gezeigten bestimmt wird.

Darüber hinaus wird die Landschaft zum bildlichen Auslöser von Tendenzen malerischer Abstraktion. Obwohl dem Gegenständlichen, dem unmittelbaren Seheindruck verpflichtet, öffnen sich die Arbeiten einer Wahrnehmung weitgehend befreiter Farbe und Form, die eine dem Gegenstand entlehnte und in der Malerei gesteigerte Ausdruckskraft bewahren.

Atmosphäre erwächst so aus dem Einsatz malerischer Mittel.

 

Der künstlerische Werdegang, den Rainer Scheithauer im Laufe seines Lebens zurückgelegt hat, nahm seinen Ausgangspunkt, wie bei vielen Malern seiner Generation, bei Cézanne. Dessen Definition des Formalen aus dem Auftrag der Farbe heraus wurde zum künstlerischen Orientierungspunkt, aus dem heraus Rainer Scheithauer seinen eigenständigen Ansatz entwickelte.

Die expressiven Qualitäten seiner späten Arbeiten haben Vorläufer bereits im Werk der fünfziger Jahre, das in der Ausstellung durch eine Arbeit vertreten ist. Kantige, starkfarbige Einzelformen treten in der Gesamtschau zu einem sommerlichen Landschaftseindruck zusammen, der kompositorisch denselben Regeln folgt wie die in der Ausstellung gezeigten späteren Arbeiten.

Die Liebe zur Landschaft, die intime, langjährige Vertrautheit mit ihr wird in den hier gezeigten Werken auf den ersten Blick offenbar.

 

Roswitha Scheithauer zeigt mit Arbeiten aus dem Zyklus „Und Pippa tanzt“ einen Ausschnitt aus ihrem aktuellen künstlerischen Schaffen. Es handelt sich um eine Reihe von Gemälden unterschiedlichen Formats, die in Assoziation zu einer literarischen Vorlage entstanden sind, Gerhard Hauptmanns Glashüttenmärchen „Und Pippa tanzt!“, das im Jahr 1906 uraufgeführt wurde.

Parallelitäten zwischen Literatur und malerischem Werk ergeben sich über das literarische Motiv der tanzenden Pippa; die Affinität zum Thema liegt jedoch in eigener Lebenserfahrung der Künstlerin begründet. Die Literatur gibt bestimmte Szenen vor, die Roswitha Scheithauer in Acrylfarben auf Leinwandgründen malerisch umsetzt; der emotionale Gehalt bestimmt hierbei Darstellungsweise und Komposition der Arbeiten. Dieser Gehalt, die Essenz des Literarischen, speist sich in der malerischen Umsetzung aus frei assoziierten Visionen der Künstlerin und bindet ein schon vor Jahren entwickeltes Interesse an expressiver Figuration ein.

Der Mensch steht im Zentrum des künstlerischen Schaffens von Roswitha Scheithauer. Figürliches bildet den Kristallisationskern, an den sich bildliche Manifestationen von innerer und äußerer Bewegung, Emotion und Gestimmtheit anlagern.

Die Bildgründe werden in offenen Farbschichtungen aufgebaut. Sie erzeugen ein farbräumliches Gefüge, in das die menschliche Figur in zeichnerischem Lineament eingetragen wird. Farbige Partien und Linienführungen verschränken sich zu figürlichen Formulierungen.

Dabei ist es hauptsächlich die weibliche Figur, die das Interesse Roswitha Scheithauers weckt. Über Aktstudium und individuelles Porträt hinaus spiegeln die Figurationen eher Wesensaspekte des Weiblichen. Weibliche Lebensenergie, Lebensmut und Überlebenswillen sind die Quellen, aus denen sich die bildliche Umsetzung speist. Dabei tritt das Element des Tanzes gestalterisch immer wieder in den Vordergrund. Hierin enthalten ist auch der Aspekt des kosmischen Tanzes, der schöpferische Elemente zum Ausdruck bringt; Tanz als Kreislauf und stete Neuschöpfung des Lebens, das ständiger Verwandlung unterworfen ist und eine Vielfalt an Erscheinungen hervorbringt.

 

Aus dieser Haltung heraus schlägt Roswitha Scheithauer die Brücke vom eigenen künstlerischen Fokus zum literarischen Werk Gerhard Hauptmanns.

In der Folge entstehen Gemälde zu verschiedenen Szenen, die jeweils tänzerische Elemente enthalten. Die immaterielle Lichthaltigkeit als Eigenschaft der weiblichen Hauptperson wird im literarischen Werk metaphorisch als Feuerfunke oder Abstammung aus den Paradiesen des Lichts ausgedeutet. Roswitha Scheithauer setzt diesen Aspekt zusammen mit der tänzerischen Bewegung, die die Personen des Stücks miteinander in Beziehung treten läßt, in sowohl gestalterisch offenen als auch figürlich lesbaren Bildkompositionen um.

 

Harmonische Farbakkorde in Gelb und Rot treten in einer Serie von drei Arbeiten in einen spannungsvollen Dialog mit einem lockeren Gefüge aus zeichnerisch formulierten Körperumrissen und frei in den Bildraum überführten Bewegungslinien. Pippa, das Fünkchen aus dem Glasofen, der buntschillernde Schmetterling, und Wann, die mythische Persönlichkeit, sind die Protagonisten der Serie. Das Nebeneinander von konturierenden Linien und farblicher Akzentuierung anatomischer Details ermöglicht über das intensive malerische Bildgeschehen hinaus eine figürliche Lesart der Gemälde.

 

In einer zweiteiligen Arbeit im Hochformat treten dieselben gestalterischen Prinzipien zutage; jedoch löst sich die graphisch definierte Körperlichkeit Pippas und ihres Befreiers, der auf der Okarina zum Tanz aufspielt, fast vollständig aus dem sich zuvor gegenseitig ergänzenden Miteinander von Zeichnung und Malerei. Über einen gestisch erschlossenen Farbraum legen sich filigrane Linien, die Figürliches skizzieren. Körpervolumen wird losgelöst von der Figur als separierte Qualität in der imaginären Tiefe des Bildraumes umgesetzt.

Eine andere gestalterische Strategie kommt demgegenüber in einer großformatigen Arbeit zum Tragen, die sich über drei Leinwände im Hochformat erstreckt. Das Bildmotiv stellt den alten Glasbläser dar, der mit Pippa tanzt; er füllt die gesamte Breite des Bildes in ausladender Geste. Seine Körperschwere manifestiert sich in dichten Farblagen, denen als luftiges Pendant die farblich fast vollständig aufgelöste körperliche Präsenz der das Tamburin schlagenden Pippa entgegengestellt ist. Die Komposition des Bildes ist gänzlich aus der Farbe heraus entwickelt, das konturierende Lineament wird zugunsten einer Verschmelzung der Figur mit der malerischen Substanz zurückgenommen.

 

Körperstudien tanzender Frauen, auf hölzernen Objektkästen gearbeitet, reihen sich in den Zyklus ein. Ausgangspunkt ist eine fotografische Sequenz, in denen die Künstlerin tänzerische Posen junger Frauen dokumentiert hat.

Roswitha Scheithauer stellt auch in diesen kleinen Formaten eine graphische Linienführung der frei aufgetragenen Farbigkeit zur Seite. In der dichten seriellen Abfolge der Arbeiten erschließt sich das dynamische Bewegungsmoment noch über die Umsetzung im Einzelbild hinaus.

Monotypien in kräftigen Buntfarben schließen den Kreis der themenbezogenen Arbeiten. Schablonierte Silhouetten tanzender Frauen sind dem Umriß des Bildfeldes eingeschrieben oder treten in raumgreifenden Bewegungen aus diesem heraus. Wiederholungen und Spiegelungen ein und derselben Tanzhaltung zeigen die Bandbreite formaler Gestaltungsmöglichkeiten des Mediums auf.

Maria Lucia Weigel, M.A.

 

 

 

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