Ellis Neu

Kulturforum Vis-à-Vis der Stadt Buchen

Kellereistraße 23

74722 Buchen

Öffnungszeiten: Di-Fr 14-17 Uhr, So 14-17 Uhr

 

6. Mai bis 10. Juni 2012

Vernissage: Sonntag, 6. Mai, 11 Uhr

Einführung: Dr. Susanne Himmelheber

Kuratorin: Ursula Drenker

 

Ellis Neu „… und weiß “

Malerei, Zeichnung  

Je marche sans rien effaroucher, 2010    Foto: Dorothea Burkhardt

 

während der Vernissage in Buchen: v. l. Bürgermeister Roland Burger, die Künstlerin Ellis Neu, die Kuratorin Ursula Drenker, Birgit Sommer, 2. Vorsitzende des Kunstvereins, Dr. Susanne Himmelheber, Landrat Dr. Achim Brötel vor Arbeiten von Ellis Neu – einer Malerei und ihren typischen „Memory Boxen“  Foto: Krieger

 

 

Fränkische Nachrichten, Dienstag, 8. 5. 2012

... und weiß – eine Wanderin zwischen den Welten zeigt in Buchen Kunst voller Geheimnisse und Offenbarungen

von Tim Krieger

Zu einer Reise in einen anderen Kunstkontinent lädt der Kunstverein-Neckar-Odenwald mit seiner am Sonntag im Buchener Kulturforum Vis-à-Vis eröffneten Ausstellung „ … und weiß“ ein, die Arbeiten der Heidelberger Künstlerin Ellis Neu zeigt.

Ein anderer Kontinent in doppelter Hinsicht: ihre Arbeiten wurden inspiriert durch Aufenthalte in Kanada und durch ihre Begegnung mit dem Volk der Inuit, der Menschen, die es geschafft haben, in der wohl unwirtlichsten Region der Erde, der Arktis, zu überleben und sich dabei sogar eine unverwechselbare und reiche Kultur geschaffen haben.

Birgit Sommer, 2. Vorsitzende des Kunstvereins, begrüßte bei der gut besuchten Vernissage ein hoch interessiertes Publikum, das wie sie selbst neugierig geworden war, zu erfahren, für was die drei Punkte wohl stehen mochten, mit dem die Künstlerin im Ausstellungstitel das „weiß“ kombinierte.

Für Bürgermeister Roland Burger, der – auch im Namen des ebenfalls anwesenden Landrats Dr. Achim Brötel – die offizielle Begrüßung sprach, verbinden sich mit dem Titel Assoziationen an das Geheimnisvolle. Sich den Blick dafür zu bewahren, gehört für ihn zum Lebendig sein – wer es nicht kennt, dessen „Auge ist erloschen“, wie er aus dem Song „Über Weiß“ von Lisa Bassenge zitierte. Und dass er sich an diesem für ihn so angefüllten Tag des Goldenen Mai in Buchen so viel Zeit nahm für die Kunst, das wurde ihm hoch angerechnet.

Die Kunsthistorikerin Dr. Susanne Himmelheber führte dann sachkundig, humorvoll und tiefgründig in das Werk von Ellis Neu ein. Sie näherte sich den Arbeiten – Assemblagen, Malereien, Plastiken und einer Installation - auf verschiedenen Ebenen und kehrte wie in einem Lied refrainmäßig immer wieder zu passenden Zitaten eines historischen „Besserwissers“ aus dem 19. Jahrhunderts zurück, die, wie sie am Schluss ihres Vortrages enthüllte, alle von Goethe und aus seiner „Farbenlehre“ stammten.

Die Rednerin machte deutlich, wie überaus reizvoll es ist, sich mit der Nicht-Farbe Weiß zu beschäftigen. Doch sie zeigte auch gleich zu Beginn ihres Vortrages, dass für die Arbeiten von Ellis Neu das Wort von besonderer Bedeutung ist. So spielt für sie die Lyrik von Paul Celan eine große Rolle, wie beispielsweise die Serie „Durch die Sternwüste“ offenbart, die einem seiner Gedichte gewidmet ist.

Was zunächst kaum vereinbar erscheint, bringt die Künstlerin, doch zusammen: ihre starke Hingabe an diese zunächst so ganz fremde, stark eigenständige Kultur der nordamerikanischen Inuit und ihre genauso starke Verwurzelung in der westlichen Geisteswelt des 20. Jahrhunderts. Diese Herkunft zeigt sich in dem strengen Charakter der künstlerischen Form, die ihre Arbeiten annimmt: die strikt geordneten Assemblagen in ihren „Memory Boxen“, ihre malerische und plastische Sprache, die viele Anklänge schwingen lässt – Art brut, Arte povera, Jean Dubuffet einerseits, dann die Subtilität einer feinen, von mystisch-spirituellen Inhalten geprägten Kunst in der Nachfolge Paul Klee andererseits – alles aber immer in ihrer ganz eigenen Handschrift dargeboten, dabei der Erforschung von Textur-Struktur und Symbol gleichermaßen hingegeben. Und andererseits in den literarischen Bezügen, die darauf hindeuten, wie sie ihre eigenen Erfahrungen einzuordnen sich angewöhnt hat. Dann immer wieder die Bezüge auf die Einfachheit der Inuit-Welt, deren elementarer Zugang zur mächtigen Natur wie auch ihr Umgang miteinander, die sie als künstlerische Impuls in ihre Arbeit eingehen lässt. So das Geschichten Erzählen der Inuit, den Brauch der „Geschenkfeste“, die Wertschätzung für das noch kleinste Stück, das die Natur herzugeben bereit ist. In ihren Memory Boxen kombiniert Ellis Neu ihre eigenen Erinnerungen an Erfahrungen mit der Kultur der Inuit mit eigenen Fundstücken, die sie z. B. Am St. Lorenz-Strom gemacht hat. Für diesen nur anfangs widersprüchlich scheinenden Hintergrund der Arbeiten von Ellis Neu zu sensibilisieren gelang Dr. Himmelheber ausgezeichnet, sie analysierte nicht trocken, sondern ließ den Kern dieser Kunst selbst lebendig werden.

Der Kunstverein hat mit Ellis Neu einen guten Fang gemacht, auch, weil ihre Arbeiten vorzüglich in das selbst so „weiße“ Kulturforum passen. So viel Weiß – inneres Weiß, äußeres Weiß, da ist es umso faszinierender, dass die allerneuesten Arbeiten der Künstlerin plötzlich tief schwarz sind, belebt von, wie Dr. Himmelheber assoziierte, weißen Sternschnuppen, die über die Bilder zucken!

Wer sich diese Schau, die von der Malerin Ursula Drenker kuratiert wurde und bis zum 10. Juni zu sehen sein wird, entgehen lässt, verpasst eine Gelegenheit, einmal über etwas scheinbar so Einfaches nachzusinnen: über sich selbst „... und weiß“!

 

Spuren im Schnee

Hans Gercke macht sich Gedanken über Ellis Neu

„Geschriebenes, Gefundenes, Geformtes, Gefaltetes – geheimnisvoll wie Spuren im Schnee – wird hier zu einer neuen Ordnung parallel zur Natur“, schreibt die Kunsthistorikerin Susanne Himmelheber über die Arbeiten von Ellis Neu.

Mit den vier Partizipien, deren Vorsilbe jeweils auf das Ergebnis einer Tätigkeit – Schreiben, Finden, Formen, Falten – verweist, ist präzise das Spannungsfeld beschrieben, in dem sich das Schaffen von Ellis Neu bewegt. Es werden die Verfahren benannt, deren sich die Künstlerin bedient, aber die Aufzählung meint nicht allein das Repertoire unabhängig von- und nebeneinander einsetzbarer gestalterischer Möglichkeiten, sondern darüber hinaus deren innige und spezifische Verknüpfung miteinander. Dabei sind Tätigkeiten am Werk, die mit Achtsamkeit, Beobachten, Wahrnehmen zu tun haben, und andere, die zugreifen, verändern, auf Vorgegebenes kreativ reagieren. 

Denn Ellis Neu belässt es nicht bei der Präsentation des Gefundenen, das sich im Zugriff persönlicher Aneignung wandelt, sondern fügt Gemachtes hinzu, ergänzt, kontrastiert, kommentiert. Bevorzugtes, doch keineswegs einziges Material solchen Tuns ist Papier, uns geläufig zumeist nur als zweidimensionaler Träger von Information, doch unter den Händen der Künstlerin wird es zum plastisch-räumlichen, haptisch-skulpturalen Element einer komplexen, mehrdimensionalen Inszenierung. Auf diese Weise, so lässt sich dem zitierten Satz weiterhin entnehmen, entsteht auf geheimnisvolle Weise etwas Neues, neu auch als „Ordnung parallel zur Natur“, als Antwort auf Gesehenes, Erfahrenes, Erlebtes.

Ellis Neu fühlt sich als Archäologin. Sie weiß ihr Agieren der „Spurensicherung“ Christian Boltanskis ebenso verwandt wie dem grafischen Gestus eines Cy Twombly. Sie ist als Nomadin unterwegs zwischen der Welt der Bilder und jener der Bücher, der Welt von dinghaften Zeichen und zeichenhaften Dingen. Gelesenes und Aufgelesenes, notierte Gedanken, handschriftliche Kommentare haben für sie die gleiche Bedeutung wie kleine Holzstückchen, die sie auf dem Weg nach Santiago de Compostela aufsammelt, oder Treibgut von der bretonischen Küste. Ellis Neu reist gern und viel. Sie bringt von ihren Reisen reiche Ernte mit – Materielles und im Gedächtnis Bewahrtes.

„Was auf meinem Arbeitstisch liegen bleibt, wenn ich lange gearbeitet habe, gefällt mir am besten“, sagt Ellis Neu. Und Susanne Himmelheber ergänzt: „Solches Liegengebliebene sind notierte Gedächtnisfragmente, gefaltete Schiffchen, Holzstücke, abgeknickte Lochstreifen, archaische Zeichen, nummerierte enigmatische Kreise, ausgebleichtes Strandgut – jedes Fundstück geklebt auf eine Papierinsel, horizontal und vertikal auf weißem Grund angeordnet.“ 

Man sieht: Ellis Neu begibt sich nicht nur auf Spurensuche, sie legt auch selbst Spuren. Spuren, die irgendwoher kommen und irgendwohin führen, festgehalten in den Momentaufnahmen der „Memory Boxes“, kleiner, kostbarer Reliquienschreine, Epitaphien einer Erinnerung, die viel weiter zurückweist als auf das tatsächlich Erinnerte, markiert doch der Moment des Findens einen eher willkürlichen Eingriff in die viel weiter zurückreichende und noch längst nicht abgeschlossene Geschichte des Gefundenen, allerdings einen bedeutsamen. Denn nun verbindet sich die Geschichte des Objekts mit der des Subjekts, der Künstlerin.

Muscheln, Steine, uraltes Holz, das der St. Lorenz-Strom angeschwemmt hat, treten in einen Dialog mit archaisch anmutenden Umrisszeichnungen, Bildern, aus denen Zeichen entstehen oder entstehen könnten, Piktogramme, aus denen sich Schrift entwickelt. Die Grenzen zwischen Zeichen und Bezeichnetem werden geöffnet, das Ganze jedoch weder nach dekorativen noch nach didaktischen Gesichtspunkten sortiert, sondern so komponiert, dass Rhythmen entstehen, Zeilen, Entsprechungen und Gegensätze, Ähnlichkeit im Gegensätzlichen, Gegensätzlichkeit im Ähnlichen. Das Resultat ist visuelle Poesie.

Als studierte Philologin ist Ellis Neu Sprache und Schrift engstens verbunden, sowohl was die Inhalte als auch was die Form betrifft. Textfragmente, poetische Zitate, Gedankensplitter unterschiedlichster Provenienz verbinden sich in ihren Arbeiten mit urtümlichen Schriftzeichen, teils existierenden, teils subjektiv nachempfundenen, die ihrerseits ihre Herkunft vom Bezeichneten nicht verhehlen. Das Spannungsfeld von Bild- und Schrift, wie es sich in archaischen Zeichensystemen manifestiert, hat Ellis Neu schon früh interessiert. Eine Initialzündung ihrer Kunst war die Begegnung mit dem Schaffen der Inuit, deren Kunst sie mit Begeisterung sammelt, die Begegnung mit den in Stein oder Knochen geritzten Chiffren einer faszinierenden Kultur.

Abschließend: Der Hinweis auf „Schnee“ kann durchaus wörtlich genommen werden. Er steht hier weniger als Metapher für irgendein Medium, das als Voraussetzung jedes Sichtbarwerdens unabdingbar ist, als vielmehr ganz konkret für die von der Künstlerin bevorzugte Farbe Weiß, die viel eher lichthafte Summe aller Farben als Nichtfarbe ist. Und natürlich hat auch sie mit der Welt der Inuit zu tun. Spielte im Schaffen von Ellis Neu zunächst das Weiß des Papiers eine tragende Rolle, so gewinnt es in den neueren Werken auch als Materie plastische Qualität. Zeichnungen werden in die noch weiche Ölfarbe hineingeschrieben, häufig so vehement, dass die Bleistiftspitze im Farbgrund stecken bleibt. 

Damit kommt ein weiterer Aspekt von Schrift zur Geltung, nämlich der expressive Duktus der Hand, der Rhythmus informeller Gestik. Fungierten in früheren Arbeiten nicht selten Textfragmente – in geschwungener, lesbarer Handschrift notiert – als Ausgangspunkte und Bausteine von Bild-Kompositionen, so verselbständigt sich in den neueren häufig der grafische Duktus. Dabei wird Text zur Textur und Farbe zum plastischen Material. Einmal mehr – nach den frühen Papierarbeiten nicht verwunderlich – wird deutlich, dass nicht eigentlich Malerei das Metier dieser Künstlerin ist, sondern ein Ausloten der Grenzen und Gemeinsamkeiten der ohnehin in vielfacher Hinsicht eng verwandten Medien Zeichnung und Skulptur – eine Beobachtung, die durch kleine skulpturale Objekte noch bestätigt wird.

Sowohl die Zen-Mönche als auch die mittelalterlichen Zisterzienser wussten es: In der selbstgewählten Beschränkung liegen Chancen der Bereicherung, Intensivierung und Entfaltung. Die Vorliebe für das Weiß bedeutet für Ellis Neu nicht Verzicht, sondern im Gegenteil Steigerung ihrer Möglichkeiten – Hinwendung zur Summe der Farben, zum Licht. Im nuancierten Spiel von Licht und Schatten, in der Balance von freiem Fabulieren und strenger formaler Disziplin wird aus Erinnerung Gegenwart, entsteht aus den Spuren erlebter Wirklichkeit – nach einem Wort von Paul Klee – eine neue Ordnung parallel zur Natur.

Hans Gercke, Heidelberg, im August 2010

 

 

 

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