das Leben kosten

das Leben kosten

Installation Gelatine, Blei, Draht

Altes Schlachthaus Mosbach, 18. 9. - 16. 10. 2005

Zur Rede von Prof. Hans Gercke anlässlich der Vernissage am 18. 9. 2005

 

 

In der Mosbacher Ausstellung “das Leben kosten”, Foto: Krieger

 

 

 

Druckedition zur Ausstellung hier klicken

Zur Ausstellung hat die Künstlerin mit dem Fotografen Manfred Orthwein zwei Fotografien der Installation in limitierter Auflage herausgegeben.

 

 

 

Hedi Schwöbel

1955 geboren in Kortelshütte/Odenwald

1986-1993  Studium an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

2001 Aktuelle Kunst im Kontext zur Romanik, Bad Wimpfen, Preis des Publikums

2003 Arthur-Grimm-Preis des Neckar-Odenwald-Kreises für Plastik, 1. Preis; Cité Internationale des Arts in Paris, Stipendium des Landes Baden-Württemberg

2004 Sculpture Space; Stipendium Utica, New York

 

 

Rede zur Vernissage der Ausstellung am 17. September 2005

Hedi Schwöbel – Das Leben kosten

von Prof. Hans Gercke, Direktor des Heidelberger Kunstverein

 

Meine Damen und Herren, liebe Frau Schwöbel –

ich habe nicht vor, mich hier in Mosbach als Dauerredner zu etablieren, und ich bin selbst überrascht, dass es sich ergeben hat, heute schon wieder zu Ihnen zu sprechen. Aber als Hedi Schwöbel mit mir Kontakt aufnahm und mir Informationsmaterial über ihre Arbeit schickte, war ich gerne bereit, diese Ausstellung zu eröffnen, und ich gebe auch zu, dass ich gern in Ihrem Kunstverein bin und auch heute wieder feststellen kann, wie gut dieses keineswegs neutrale, sondern sehr spezifische historische Gebäude gerade für Rauminstallationen geeignet ist. Voraussetzung ist allerdings, dass die Ausstellenden auf den besonderen Charakter des Raumes eingehen und diesen nicht lediglich als neutralen Container für ihre Kunst betrachten. Dies, so meine ich, ist in dieser Ausstellung auf hervorragende Weise gelungen.

Lassen Sie mich zunächst ein paar Worte zur Gattung der „Installation“ sagen:

Der  Name ist der Terminologie des Klempnerhandwerks entnommen. Er verweist auf ein wie auch immer geartetes Zusammenfügen von Gegenständen oder Materialien im Raum, wobei dieser zumeist nicht den neutralen Rahmen der Inszenierung bildet, sondern deren wesentlicher Bestandteil ist, Ausgangspunkt der Gestaltung, die, wie hier, nicht nur auf seine Architektur, seine Proportionen und seine Lichtführung Bezug nimmt, sondern auch auf seine Geschichte und  seine ursprüngliche Funktion.

Seit den 60er Jahren spielt die Installation auf der Kunstszene eine wichtige Rolle, und man wundert sich, dass sie bis heute in den  einschlägigen Handbüchern und Lexika noch kaum Berücksichtigung gefunden hat.  Sie stammt als dreidimensionale Kunst keineswegs von der klassischen Plastik oder Skulptur ab, sondern ist nachweislich ein Derivat der Malerei, deren „Ausstieg aus dem Bild“ in den 50er Jahren viel von sich reden gemacht hat. Damals mischten die Künstler des Informel Sand, Leim und andere Materialien in die Farbe, ließen Schnüre, Drähte und Schläuche aus dem Bild baumeln, zerschlitzten die Leinwand und fügten allerlei Zivilisations-Strandgut in ihre Arbeiten ein. Der naheliegende Schritt in den Raum, die völlige Ablösung vom Bildträger, war dann nur noch eine Frage der Zeit, zumal es bereits in der ersten Jahrhunderthälfte, bei den Futuristen und Dadaisten, denken Sie an den Merz-Bau von Schwitters, Vorbilder einer solchen Entwicklung gegeben hatte.

Letztendlich lässt sich die Entstehung der Rauminstallation auf die kubistische Neudefinition des Bildes zurückführen, das zuvor als eine Art „Spiegel der Wirklichkeit“ verstanden worden war, sich nun aber als additiv aus Wirklichkeitsfragmenten zusammengesetzte neue Realität eigener Prägung und Gesetzlichkeit etablierte. Den Weg zum Ausstieg aus der Fläche, zur Absage an die bildimmanente Scheinräumlichkeit der Zentralperspektive und zum Eintritt der Malerei in die dreidimensionale Realität wiesen die Collagen der Kubisten, aber auch Künstler wie van Gogh, deren reliefartig haptischer Farbauftrag bereits die Grenzen des Mediums, die Grenzen zwischen Bild der Wirklichkeit und Wirklichkeit des Bildes, überschritt.

Das Bild wird zum Objekt neben anderen. Auch in konventionellen Ausstellungen präsentiert es sich nicht mehr als isoliertes Stück, sondern als Teil eines Ganzen, als Bild im Bild sozusagen, im begehbaren, den Betrachter einbeziehenden Arrangement. Der Raum wird zum Rahmen, der Betrachter ist nun im wahrsten Sinne des Wortes „im Bild“, auch wenn er dies im übertragenen Sinn vielleicht nicht immer ist. Aber, und Sie erleben es heute „hautnah“, er ist, ob er es will oder nicht, Bestandteil eines komplexen „Gesamtkunstwerks“, das aus Architektur und Licht, Material, Form und Farbe, aus Vorgefundenem und Gemachtem besteht und die Bewegung, Wahrnehmung und Assoziationskraft des Betrachters mit einschließt. Hierzu gehört auch der Titel, den die Künstlerin ihrer Arbeit gegeben hat: Das Leben kosten.

Hedi Schwöbel, aus dem Odenwald stammend und zunächst ausgebildet als Keramikerin und Kunsterzieherin, hat 1986-1993 bei Professor Spagnulo an der Staatlichen Akademie der Künste in Stuttgart studiert. Spagnulos Material ist Keramik, sodass hier die Möglichkeit einer Anknüpfung an ihre frühere Tätigkeit gegeben war, gerade weil der Lehrer mit seinen kraftvollen, massiven plastischen Kreationen durchaus von der Gefäßkeramik ausgeht, aber die Grenzen der angewandten Kunst weit hinter sich lässt. Es geht in der Auseinandersetzung mit einem Lehrer ja immer auch darum, eine eigene Position zu entwickeln. Hedi Schwöbel, seit 1993 freischaffend, setzte eher auf Zartheit als auf Massivität, eher auf das Thema der Hülle, der Membran, als auf das kompakte Volumen. Anders als ihre Studienkollegin Katja Kurbjuweit, die als Antithese zum Umgang des Meisters mit seinem Material hauchfeine keramische Häute entwickelte, experimentierte Hedi Schwöbel in ähnlicher Absicht mit Wachs, Flachs, Pigmenten, Alufolie und vor allem – teils handgeschöpftem – Papier.

Das Interesse der Künstlerin an Materialwirkungen mag grundgelegt worden sein durch ihre Tätigkeit als Keramikerin – mir sind etliche Beispiele bekannt, wie ehemalige Keramiker sich später weiterhin, wenn auch auf ganz andere Weise, mit dem künstlerischen Potential von Erden und Pigmenten, Mineralien und organischen Materialien beschäftigten. Dass Hedi Schwöbel in dieser Ausstellung mit Gelatine arbeitet – jenem aus Knochen und Häuten, dem Innersten und Äußersten geschlachteter Lebewesen ausgekochten Material, das sich in zahllosen Lebensmitteln und Kosmetikartikeln, in Sülze, Hautcreme und Gummibärchen findet, ist neu in ihrem Schaffen. Materialwahl wie Konzept und Titel der Ausstellung verdanken sich der intensiven Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem konkreten Ort der Ausstellung. Sie hat ihn ernstgenommen und hat sich mit der früheren Funktion des Alten Schlachthauses befasst, ohne freilich literarisch oder vordergründig illustrativ damit umzugehen.

Das Leben kosten: Hedi Schwöbel hat darüber nachgedacht, dass es den Tieren das Leben kostete, wenn sie hier hereingeführt wurden – übrigens noch bis 1960, so lange war das Schlachthaus in Betrieb. Und wir, selbst wenn wir Vegetarier sein sollten, „kosten das Leben“, denn wir leben nicht anders und in mehrfacher Hinsicht vom Leben anderer Lebewesen. Dieses Leben ist kostbar und köstlich, schön und schrecklich, zart und brutal. Es fließt und erstarrt, ist elastisch und widerständig, beständig und vergänglich.

Solche Assoziationen mögen sich einstellen bei den luftigen Gebilden, die die Künstlerin hier in zahlreichen Reihen an Vieh, das hier bis auf die Knochen auseinandergenommen wurde. Man beachte in diesem Zusammenhang die von der Künstlerin bewusst gesetzten Kontraste, die Kontraste zwischen oben und unten, zwischen Hell und Dunkel, zwischen hartem Metall und organischer Materie, zwischen der Brutalität des Bleibalkens und der Zartheit der daran befestigten Häute.

Das Thema „Haut“ – dies als kleiner Exkurs – ist höchst ambivalent: Haut hält unseren Körper zusammen, schützt unser Innerstes und stellt es doch zugleich bloß, eröffnet Verbindung zur Außenwelt, ist keineswegs lediglich Hülle, sondern unser wohl wichtigstes Kommunikationsorgan überhaupt. Haut signalisiert und artikuliert Jugend und Schönheit, Alter und Vergänglichkeit, Wohlbehagen und Schmerz, Verlangen und Abscheu, Eros und Tod. Ganze Epochen der Kunstgeschichte haben darauf vertraut, dass die Oberfläche des Körpers mehr ist als lediglich etwas Äußeres, vielmehr in der Lage, ein mehr als nur körperliches Ganzes ideal zu vergegenwärtigen. „Ich glaube an die Haut der Dinge“, hat Le Corbusier einmal geäußert. Doch es kommt auch anderes in den Sinn: Zerschundene Körper am Kreuz, Marsyas und Sankt Bartholomäus, Herakles mit dem Löwenfell. Tierhäute, mit denen wir uns bekleiden, Pelz, Fell, Leder, weich, fest, glatt, kühl, kahlrasiert, nackt, erotisch. Bikini im Tiger-Look, klingende Membran der Trommel, Lampenschirme aus Menschenhaut.

Nicht aus seiner Haut heraus können. Aus der Haut fahren. In jemandes Haut stecken. Seine Haut zum Markte tragen. Transplantation, Kosmetik, Mimikry – Hautcreme, hautnah, dünnhäutig, dickfellig. Die Linien unserer Hände, der Abdruck des Daumens: Identität macht sich nicht zuletzt an den Strukturen unserer Haut fest, Schilys neues Pass-Konzept lässt grüßen – haben Sie übrigens schon gewählt? An Häute, an abgezogene Tierfelle, erinnern auch die mit Feuer gefertigten „Zeichnungen“, im doppelten Wortsinn „gezeichnete“ Blätter, eine weitere eindrucksvolle Werkgruppe, von der „Kostproben“ in dieser Ausstellung zu sehen sind.

Das Leben kosten: Die ernste, an Reihen von Grabstelen erinnernde, jedoch keineswegs stereotype serielle Anordnung gleicher oder, besser gesagt, ähnlicher Formen – hier liegt es nahe, an Kompositionen der konkreten Kunst zu denken, vielleicht auch an eine Ausweitung des Konzeptes der Armanschen Accumulagen – , demgegenüber dann aber auch die lichte, heitere Transparenz dieser vielfältig sich überschneidenden Gebilde und deren durch Lufteinschlüsse und Spuren der Fertigung lebendig strukturierte organische Oberfläche lassen diese Installation eigentümlich changieren zwischen Anmutungen unterschiedlichster Art. Dabei machen sie den vertrauten Raum neu und anders erfahrbar. Jedes Stück, tropfende Hemdchen auf der Wäscheleine, ist ein Unikat, wie es die Tiere waren, die hier bis auf den letzten Rest verwertet wurden, alle waren sie einander ähnlich und doch keines dem anderen gleich, alle wurden sie vernutzt bis auf  die Knochen, und aus diesen, aus Haut und Knochen, wurde ja das Material gefertigt, das hier an Haut und Hemdchen und vor allem an Wasser erinnert, an Kaskaden aus Wasser, biegsam verfestigt wie elastisches Eis – zugegeben: eine paradoxe Vorstellung. Wasser ist der Inbegriff alles Lebendigen, denn bekanntlich besteht ja jedes Lebewesen zu einem erheblichen Prozentsatz aus diesem seltsam ambivalenten, zugleich lebensbedrohlichen und lebenspendenden Element. Auch lokale Bezüge mögen hier eine Rolle gespielt haben: Nicht weit von hier fließt die Elz, dicht am Haus vorbei der Mühlkanal, und mitten durch das Gebäude führte während seiner Nutzung als Schlachthaus eine Rinne, durch die abfloss, was von den hier aufgehängten Kadavern entsorgt werden musste.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf den Anfang meiner Einführung zurückkommen. Es gibt verschiedene Arten von Installationen. Zum Beispiel solche, die ausschließlich aus Materialien hierfür angefertigt wurden. Das Resultat kann von Dauer sein oder aber von vornherein nur als temporär konzipiert, sodass nach Beendigung der Präsentation die einzelnen Teile dann keinen Kunstanspruch mehr erheben, sondern entsorgt werden. Es kann aber auch sein, dass – mit den selben oder ähnlichen Teilen – die gleiche Installation anderswo, durchaus ebenfalls ortsbezogen und daher niemals völlig mit der ersten Fassung identisch, ein weiteres Mal realisiert werden kann. Dieses Vorgehen hat Ähnlichkeit mit der Aufführung von Kompositionen nach den Vorgaben einer Partitur. Im Zwischenbereich beider Varianten gibt es auch die Möglichkeit, wie vor Jahren bei Beuys‘ berühmter, für die von Harry Szeemann kuratierte Venezianische Biennale gefertigter „Straßenbahnhaltestelle“, zwar auf der Unwiederholbarkeit der Erstpräsentation zu bestehen, die dabei verwendeten Requisiten jedoch trotzdem aufzubewahren und auf andere Weise anderswo zu präsentieren, mit ausdrücklichem Bezug auf die originäre Erstpräsentation, sodass die Arbeit so gleichsam in einem anderen Aggregatzustand überlebt. Schließlich gibt es Arbeiten, die als autonome Kunstwerke in denkbar unterschiedlichen Situationen präsentiert werden können, dabei aber in hohem Maße katalysatorischen Charakter aufweisen, das heißt, intensiv verändernd auf den Kontext ihrer Präsentation einwirken.

Hedi Schwöbel hat ihre Gelatinehäute nicht jede für sich als autonomes Kunstobjekt, sondern alle zusammen eigens für diesen Ort, für dieses Haus und diese Ausstellung gefertigt. In welchem Maße sie in anderem Zusammenhang noch einmal verwendbar oder auch als Einzelstücke präsentabel sind, möchte ich offen lassen. Sollte jemand von Ihnen das eine oder andere Objekt erwerben wollen, so wäre die Künstlerin vielleicht diesem Gedanken gegenüber nicht unaufgeschlossen. Tatsache aber ist, dass sich Installationen nicht oder nur ausnahmsweise vermarkten lassen. Umso mehr wissen wir es zu schätzen, ich denke, ich darf da für Sie alle sprechen, dass wir hier mit einem „Kunstwerk auf Zeit“ beschenkt werden, das so nur hier und jetzt, für die Dauer der Ausstellung, erlebt werden kann.

 

 

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